Würdigung der Ausstellung

Baerbel Claus
Weltsicht – Verantwortung und Schönheit
Ausstellung vom 21. Oktober bis 19. Dezember 2017
Veranstalter: Geistliches und Kulturelles Zentrum Kloster Kamp, Kamp Lintfort

„Ich verstehe Kunst als ein Werkzeug die Welt kennenzulernen”, sagt der schweizer Installationskünstler Thomas Hirschhorn. Eine eigene Weltsicht also, die sich durch Kunstmachen, durch den künstlerischen Ausdruck definiert. Die Welt betrachten und bestaunen heißt aber auch Stellung beziehen zu Ereignissen und Entwicklungen auf der Welt, die man nicht gutheißen kann. Das ist der politische Aspekt von Kunst.
Baerbel Claus macht engagierte Kunst, ihre Plastiken und Assemblagen stehen nie für sich selbst, für den ästhetischen Reiz oder die komplexe Gestaltung. Dies alles ist nur ein Teilaspekt des Werkes, denn sie will auch deuten, anklagen, aufmerksam und nachdenklich machen. Kritisch könnte man ihre Kunst ebenfalls nennen, sie hinterfragt, setzt sich auseinander. Mit Kunst, mit Gestaltung, aber eben auch mit den Folgen sozialer Ungerechtigkeit, Umweltverschmutzung und der Ausbeutung des Kontinents Afrika, wo sie zwanzig Jahre gelebt hat. Das Erleben komplett anderer Kulturen, Religionen und Traditionen hat Baerbel Claus’ Weltsicht verändert und beeinflusst auch ihre Kunst bis heute. Ihre Ausbildung genoss sie zu großen Teilen in verschiedenen künstlerischen Einrichtungen Afrikas, so dass es nicht verwundert, wenn ihre Formensprache häufig afrikanisch geprägt ist.
Sie ist stets produktiv und so entstanden im letzten Jahr mehrere neue Werke, die in dieser Ausstellung zu sehen sind, neben älteren Werken, die jedoch nichts von ihrer Brisanz und Aussagekraft verloren haben.

„Mein Denken ist schöpferischer und gestaltender Natur und ich nutzte meinen Verstand als ein Mittel, mich selbst auszudrücken.“ Der Verstand, den Baerbel Claus hier anspricht, ist die Voraussetzung, gute, anregende und engagierte Kunst zu machen. Allein das Engagement ist kein Grundstein für Originalität. Baerbel Claus geht mit offenem Verstand durch die Welt und kommt im langwierigen und aufwendigen Schaffensprozess zu einem eigenen Ausdruck, einem Stil.

Ihre Assemblage ‚Auf tönernen Füßen‘ etwa, zeigt eine Vielzahl von Einzelobjekten. Es handelt sich um Fundstücke sowie modellierte Elemente, deren Aussage zum Bienensterben sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Der Aufbau wirkt als könne er jederzeit zusammenbrechen, es ist ein fragiles Gleichgewicht, wie es bereits der Titel andeutet. ‚Auf tönernen Füßen‘: d.h. etwas wurde nicht durchdacht, die Konsequenzen nicht verantwortungsvoll abgewogen. Ein Vorgehen, welches in der Umweltpolitik, die oft von wirtschaftlichen Interessen begleitet wird, leider häufig Realität ist. Das ökologische Gleichgewicht wird in diesem Fall durch das allmähliche Aussterben der Bienen in eine bedrohliche Schieflage gebracht, deren Konsequenz die Zerstörung der pflanzlichen Vielfalt und damit letztlich unserer Nahrungsgrundlage sein wird, hier symbolisiert durch die scheinbar in endloser Menge zur Verfügung stehenden Äpfel und Birnen.
Die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema korrespondiert immer mit der Entwicklung der Arbeit. „Die Arbeiten wachsen“, so formuliert Baerbel Claus es selbst. Nach der ersten Idee folgen Skizzen, Materialsichtungen, Materialerprobungen, erste Aufbauten und Kombinationen. Oft wird dabei Störendes entfernt, Fehlstellen gefüllt. Zum Schluss müssen Aussage und Ästhetik miteinander harmonieren.

Die Religion ist eines der großen Themen von Baerbel Claus. Ihre zahlreichen Arbeiten zum Thema verweisen auf Bibelstellen, über die sie besonders intensiv nachdenkt und die sie beschäftigen. Die konkrete Arbeit am Objekt hilft, diese Aussagen klarer zu sehen und ohne Worte zu interpretieren. Die neuere Arbeit ‚Ich bin der Anfang und das Ende‘, Offenbarung Kapitel 21, Vers 6, setzt Baerbel Claus um in einen vielschichtigen Aufbau aus verschiedenen Objekten. Die Kiste mit Sand und Scherben steht für das Alte und Überkommene, die Stadt Jerusalem, die von Sand überzogen sein wird. Aus diesem Sand und auf diesem Fundament soll jedoch auch das Neue entstehen. Ein Kreuz, Sinnbild des Christentums, sowie eine Karte des alten Jerusalems schaffen die Verbindung zu den Worten der Offenbarung. Jedes Element wurde von der Künstlerin mit großer Sorgfalt ausgesucht und an seinem Platz angebracht. Die Komposition bestimmt die Gestaltung, die Formensprache bestimmt die Aussage.

Eine originelle Darstellung der ‚Ehe‘ zeigt eine kleine abstrakte Plastik. Hier wird das Paar nicht figurativ darstellt, sondern als Form, die zwar zusammenpasst, für sich aber jeweils individuell ist. Diese Darstellungsweise steht für die verschiedenen Wesensarten der Partner. Der Spalt in der Mitte der Form, die sich zwar problemlos zusammenfügen würde, steht auch für individuelle Freiheiten, die gewährt werden sollten.

Die momentanen erschreckenden Entwicklungen im Umgang der Menschen miteinander sieht auch Baerbel Claus mit Besorgnis. Unser jahrhundertelang geltender Kanon von Höflichkeit und gegenseitigem Respekt wird angesichts der sozialen Medien und des aufkommenden Populismus obsolet. Die konkreten Auswirkungen auf den Einzelnen zeigt die Künstlerin in der Plastik ‚Fake News‘. Wie fühlt sich ein Mensch, dem Verleumdung und üble Nachrede widerfährt? Es kann nicht ungeschehen gemacht werden, die Folgen sind für denjenigen, selbst wenn er dementieren kann, oft traumatisch. Die Person fühlt sich umzingelt, isoliert und in einem Gespinst von Lügen gefangen. Genauso stellt Baerbel Claus den Betroffenen dar. Die Figur ist gefangen, sie wirkt in ihrer Pose ungelenk, windet sich und versucht, den Fesseln zu entkommen. Es ist kein Gesichtsausdruck nötig, um die seelischen Nöte zu erahnen.

Von hoher Komplexität ist auch die Arbeit ‚Erster Sonntag im Oktober‘. Das Datum ist noch nicht lange her und vielleicht erinnern Sie sich, es ist das Erntedankfest. Schon sehr lange im Kanon unserer christlichen Feste verankert, soll es unsere Dankbarkeit für den Ernteertrag ausdrücken, aber zugleich zeigen, dass es nicht allein in der Hand der Menschen liegt, dass genügend Nahrung vorhanden ist. In unserer Zeit jedoch ist das Problem vielschichtiger. Während in den Industrienationen immer mehr und immer schlechtere Lebensmittel produziert werden, gehen die Erträge in Afrika weiter zurück. Die Problematik unserer zunehmend industrialisierten und immer ungesünderen Lebensmittel berührt auch Baerbel Claus. Was machen alle diese Lebensmittel mit uns? Ist es nicht sinnvoller, sich bewusst zu ernähren, biologisch und regional? Das Sinnbild der Ernährung ist von jeher das Brot. Von der Künstlerin wurde es hier realistisch in Porzellan hergestellt und ist damit zerbrechlich. Die Hauptzutat für Brot ist Weizen, auf dem es in der Arbeit aufliegt. Darüber erscheint eine menschliche Figur auf einer Glasscheibe, die von verschiedenfarbigen Konturen wie Lichtkränze umrahmt wird. Diese symbolisieren die Aura des Menschen. Baerbel Claus sieht einen elementaren Zusammenhang zwischen der Ernährung des Menschen und seiner Aura, also seiner Ausstrahlung. Auch ohne anzunehmen, dass unsere Nahrung uns direkt krank macht, ist die Problematik der Auswirkung chemischer Zusätze und industrieller Verarbeitung doch ein Thema in der Gesellschaft, welches immer wieder durch Skandale in die Öffentlichkeit gerät und zugleich bei vielen Menschen zu einem Unbehagen führt.

Bärbel Claus hat durch ihre vielen Reisen eine besondere Weltsicht erlangt. Durch eigene Anschauung kann sie ihre Anliegen kompetent und konsequent darstellen. Sie erweitert unsere Weltsicht, sie setzt neue Akzente und zeigt Facetten auf, die unser westlich geprägtes Weltbild oft übersieht. Die Betrachtung der Werke von Baerbel Claus löst eine Reihe von Assoziationen aus, ebenso wie die taktilen Reize, die von den verwendeten Oberflächen und Stofflichkeiten ausgehen. Alles müssen wir ins Visier nehmen, um im Ganzen die Anordnung und ihre Aussage zu erkennen und zu erspüren.

Die Form ist stets wichtig, sie bestimmt den künstlerischen Impetus. Das Gespür für Aussage durch Form ist Baerbel Claus in hohem Maße gegeben. Um noch einmal Thomas Hirschhorn zu zitieren: „Nicht eine Form machen, sondern etwas eine Form geben. Eine Form, die von mir kommt, die nur von mir kommen kann, weil ich die Form so sehe.“ Ein Satz, der, so denke ich, auch dem Werk von Baerbel Claus entspricht. Sie lehrt uns souveränes Wahrnehmen und kritisches Sehen. Lassen Sie sich nun als Betrachter inspirieren, ihre Sicht auf die Kunst und die Welt zu erweitern.

Kirsten Schwarz
Kunsthistorikerin
Oktober 2017